Die südafrikanische Tänzerin und Choreografin Dada Masilo spricht im Interview darüber, wie sich afrikanische Tänze mit Ballett verschränken lassen – und was Tanz mit gesellschaftlichen Herausforderungen zu tun hat.
Sie arbeiten mit klassischen Stücken wie „Romeo & Julia“, „Carmen“ oder „Giselle“, modernisieren sie und sprechen dabei gesellschaftliche Themen an. In Ihrer Version des Schwanensees ist beispielsweise der Prinz homosexuell. Was steckt hinter dem Zugang?
Ich liebe es, Klischees aufzubrechen und Grenzen zu überwinden. Wenn ich über Homophobie, Geschlechterrollen, die Stigmatisierung von Aids oder häusliche Gewalt spreche, ist es mir wichtig, ein Brennglas daraufzulegen. Die klassischen Stücke sehen viele Menschen. Ich kann eine Arbeit machen, die Fragen aufwirft, die einen Dialog in Gang setzt.
Bei Schwanensee hat sich übrigens die Kostümfrage in dieser Hinsicht lustig gelöst: Bei der ersten Probe hatte ich die Tutus herausgelegt und dachte dabei an die Frauen, die sie für die Probe anziehen sollten. Ich ging kurz weg und als ich wieder zurückkam, hatten alle Männer die Tutus an. Dabei haben wir es belassen. Manchmal geht es nicht darum, zu diktieren, was zu tun ist, sondern die Dinge einfach geschehen zu lassen.
Sie verbinden in Ihren Tanzstücken traditionelles Ballett mit afrikanischen Tänzen. Wie geht das zusammen?
Afrikanische Tänze werden meist in den Boden getanzt, es gibt viele Bewegungen mit dem Brustkorb. Sie sind kraftvoll und ausdrucksstark. Ballett ist mit seinen weichen, anmutigen Bewegungen das Gegenteil. Es war herausfordernd, aber ich wollte es unbedingt probieren und es hat geklappt.
Für unser aktuelles Stück „The Sacrifice“ haben die gesamte Company und ich den Tswana-Tanz gelernt. Ich bin Tswana, das ist meine Kultur, Tradition und Sprache. Der Tswana-Tanz zeichnet sich durch seinen einzigartigen Rhythmus und Ausdruck aus und wird zum Geschichtenerzählen sowie als Heilungsritual verwendet.
Ich lerne selbst ständig verschiedene Tanztechniken: Ballett, Contemporary, Flamenco. Als Künstlerin finde ich es wichtig, dass man sich immer weiterentwickelt und viel lernt. Bleib nicht in deiner Box, das heißt nur in einem Tanz. Lasst uns diese Schranken überwinden!
Die 1985 geborene Dada Masilo absolvierte in ihrer Heimatstadt Johannesburg, Südafrika, an der Dance Factory ihre Ausbildung und studierte ab 2005 zwei Jahre lang an den Performing Arts Research and Training Studios (PARTS) in Brüssel, Belgien.
Masilo erhielt zahlreiche internationale Preise, darunter 2008 den Standard Bank Young Artist Award für Tanz. In ihren Produktionen ist sie auch selbst als Tänzerin zu sehen.
Masilo ist auch heuer wieder zu Gast beim Impulstanz-Festival. Termine für „The Sacrifice“: 28. und 30. Juli
Hatten Sie je das Gefühl, als junge, schwarze Frau in der Tanzwelt auf Probleme zu stoßen?
Ich kann nicht sagen, dass ich besondere Probleme hatte, weil ich eine schwarze Frau aus Südafrika bin. Ich bin hingegangen und habe getanzt. Ich wurde von sehr starken Frauen unterstützt. Sie nahmen mich bereits als Jugendliche an der Hand und sagten: Wir sehen dein Talent, wir werden dich unterstützen. Es waren Frauen, die sagten: Du kannst das sein, was du sein willst.
Wie kamen Sie zum Tanz?
Ich begann mit 12 Jahren bei einer Mädchengruppe namens „The Peacemakers“ zu tanzen. Danach fing ich in der Dance Factory in Johannesburg an, die von der Frau geleitet wurde, die jetzt unsere Company Managerin ist.
Ich startete mit zeitgenössischem Tanz und Ballett und wollte bald auf die Bühne. Als ich 14 war, ging ich zu einer Physiotherapeutin und sie sagte mir, dass ich nicht tanzen werde, weil mein Körper ganz ungeeignet sei: O-Beine, zu klein, schlechte Hüften. Ich verspürte aber immer so eine Leidenschaft dafür, dass ich es nie lassen konnte und bis heute weiter tanze.
Sind dem Tanzen also kaum Grenzen gesetzt?
Wenn du leidenschaftlich dabei bist und die Möglichkeit dazu hast, dann mach es! Und finde die richtigen Physiotherapeut*innen, die dir bei Schmerzen helfen. Natürlich schleichen sich jetzt, wo ich älter werde, Probleme ein.
Meinem Körper hat die zweijährige Pause aufgrund der Corona-Pandemie gutgetan, aber mental war es schrecklich. Es hat mich während der Pandemie wahnsinnig gemacht, nicht das tun zu können, was ich liebe. Man wacht auf und kann nicht ins Studio oder auf die Bühne gehen und fragt sich: Was jetzt? Es war für mich ein großes Opfer. Umso mehr freue ich mich jetzt wieder auf das Tanzen und unsere Auftritte.
Wiener Tanz-Impulse
Das diesjährige Impulstanz-Festival findet von 7. Juli bis 7. August statt. Ismael Ivo und Karl Regensburger gründeten 1984 das Festival für zeitgenössischen Tanz und Performance. Neben Performances gibt es jedes Jahr eine Vielzahl an Workshops, Forschungsprojekten und musikalischen Acts mit tausenden Tänzer*innen, Choreograf*innen und Künstler*innen aus der ganzen Welt. impulstanz.com
Apropos Opfer: Beim diesjährigen Impulstanz-Festival in Wien wird zum zweiten Mal Ihr Stück „The Sacrifice“ („Das Opfer“) zu sehen sein, das an „Le sacre du printemps“ angelehnt ist, einem der größten Ballettstücke des frühen 20. Jahrhunderts. Welche Botschaften holen Sie hier in die Gegenwart?
In „The Sacrifice“ beziehen wir unsere Ahnen mit ein. Es ist keine Show, es ist eine Arbeit der Anerkennung und des Dankes dafür, dass sie bei uns sind und uns beschützen. Für mich war es wichtig zu zeigen, dass wir nicht allein sind, wir reisen mit all den geliebten Menschen und denen, die wir verloren haben.
Zudem spricht das Stück über das Opferbringen. Das ist etwas, dessen wir uns nicht wirklich bewusst sind, aber wir machen es jeden Tag mit der Familie, mit Freunden und geliebten Menschen. Es geht um die Frage: Was gibst du und was bekommst du zurück? Wir müssen verstehen, dass wir auch zurückgeben müssen.
Was wünschen Sie sich diesbezüglich auf gesellschaftlicher Ebene?
Ich würde mir wünschen, dass unsere Gesellschaft mehr Liebe, Toleranz und Verständnis gibt. Manchmal neigen wir dazu, über Menschen zu urteilen, ohne ihre Geschichte und Situation zu kennen. Bilde dich weiter und stelle Fragen, aber urteile nicht.
Welche Rolle spielt Tanz dabei?
Tanz spielt in allem eine große Rolle. Durch Tanz können wir eine Gemeinschaft bilden, das Leben und die Bewegung feiern. Das wollte ich mit „The Sacrifice“ erreichen – Menschen zusammenzubringen. Es ist ein energiegeladenes und mitreißendes Stück.
Opfer zu bringen ist nicht unbedingt etwas Schlechtes. Es ist etwas, das auch in der afrikanischen Kultur gefeiert wird: Wenn man etwas opfert, dann gibt man nicht nur etwas an Gott, etwas an die Ahnen, sondern man bringt Menschen zusammen, feiert und gibt der Erde etwas zurück.
Interview: Milena Österreicher
Milena Österreicher ist freie Journalistin und begeisterte Tänzerin – besonders kubanischer Tänze. Sie unterrichtet bei „cubaila viena“.
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